Allein die Vorstellung ist furchtbar: Vergessene OP-Klemmen im Unterbauch, unerkannter Krebs, schlecht reparierte Brüche, falsche Diagnosen oder falsch dosierte Medikamente. Das lassen sich viele Patienten nicht mehr gefallen und melden die Kunstfehler. Und es werden immer mehr, auch wenn Missgriffe von den Medizinern selten eingestanden werden. Die AOK erhält jedes Jahr 615 Beschwerden von Berlinern, die der Meinung sind, ihre Ärzte hätten gepfuscht. Viele von ihnen liegen mit ihrer Vermutung richtig. Bei anderen Krankenkassen sieht es nicht besser aus. Das Internet-Gesundheitsportal www.imedo.de informiert über Kunstfehler.
Trotz aller Kampagnen zur Sicherheit in der Medizin haben Gutachter im vergangenen Jahr bei 2095 Patienten Fehler der behandelnden Ärzte festgestellt. Berliner Patienten wehren sich nun immer häufiger gegen Ärztepfusch. In 1717 Fälle führten die Fehler zu teils dauerhaften Schäden und Anspruch auf Schadenersatz, berichtete die Bundesärztekammer in Berlin. Unterstützung bekommen betroffene Patienten dazu von ihren Krankenkassen. Diese haben die Möglichkeit ihren Versicherten in solchen Fällen unter die Arme zu greifen. Verdachtsfälle werden durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, kurz MDK, oder durch externe Gutachten bewertet. Ergebnis: Bei jedem dritten Patienten der Berliner Allgemeinen Ortskrankenkasse, des größten Versicherers der Stadt, stellte sich heraus, dass Ärzte oder Pflegekräfte nicht sorgfältig gearbeitet haben.
Definition des Kunstfehlers (Behandlungsfehlers)
Es war im Jahr 1871, als der renommierte Berliner Arzt und Politiker Rudolf Virchow im Zusammenhang mit der damaligen Novellierung des Strafgesetzbuches erstmals den Begriff des „Kunstfehlers“ aufbrachte. Er definierte ihn als einen Verstoß „gegen allgemein anerkannte Regeln der ärztlichen Wissenschaft“. Nach wie vor gilt der ärztliche Kunstfehler - im modernen Sprachgebrauch auch „Behandlungsfehler“ genannt - als Verstoß gegen die vier Grundmaximen ärztlichen Verhaltens:
1. vor allem nicht schaden - („primum non nocere“)
2. vor allem nützen - („primum utilis esse“)
3. das Wohl des Kranken ist oberstes Gebot - („salus aegroti suprema lex“)
4. der Wille des Kranken ist oberstes Gebot - („voluntas aegroti suprema lex“)
Ein Kunstfehler liegt vor, wenn ein Patient zu Schaden kommt, weil der behandelnde Arzt vom aktuell praktizierten medizinischen Standard abgewichen ist, also der Eingriff nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst (lege artis) vorgenommen wurde. Ein Behandlungsfehler kann durch Unterlassen entstehen, wenn ein Eingriff zwingend notwendig gewesen wäre. Oder aber das Gegenteil ist der Fall: Der Arzt nimmt einen Eingriff vor, der medizinisch nicht gerechtfertigt ist.
Krankenkassen bieten spezielle Beratungen nach Kunstfehlern/Behandlungsfehlern an
Bei der AOK können Betroffene bereits seit acht Jahren spezielle Beratungen in Anspruch nehmen. Weitere Krankenkassen im Bundesgebiet haben nachgezogen und bieten Gesundheitstelefone und Sprechstunden für Menschen, die Opfer von Kunstfehler wurden, an. Mittlerweile hätten sich rund 8000 Versicherte an die AOK gewandt, sagt Sylvilin Krüger, Verantwortliche des Serviceteams. Allein von August 2007 bis Juli 2008 hat das AOK-Prüfteam 615 Versicherte mit realen oder mutmaßlichen Behandlungsfehlern registriert. Die meisten Behandlungsfehler stellt die AOK in den Fachgebieten Chirurgie und Pflege fest. Gleich dahinter rangieren die Innere Medizin und die Orthopädie. Die meisten Fälle würden außergerichtlich reguliert, wobei wiederum der überwiegende Teil hiervon mit einem Vergleich endete. Der Grund: die langwierigen und psychisch belastenden Verfahren für die Betroffenen. Bei der Techniker Krankenkasse werden jährlich 300 Fälle von mutmaßlichen Versorgungspannen bearbeitet. Etwa 20 bis 30 Prozent stellen sich als echte Behandlungsfehler heraus, sagt TK-Sprecherin Heike Weinert. Und bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse werden jährlich 200 Fälle von möglichem Ärztepfusch geprüft. 60 bis 70 Vorfälle erweisen sich als Behandlungsfehler.
Jede zehnte Behandlungs verläuft fehlerhaft. Die imedo-Gesundheitsnews informieren auch über dieses Thema.
In den imedo-Gesundheitsnews finden Sie Informationen zu MRSA, den Krankheitserregern im Krankenhaus.