In Deutschland sind rund 100.000 Menschen magersüchtig. Eine von ihnen ist Marie A. Wer die junge Frau heute sieht, würde wohl nicht auf die Idee kommen, dass sie einmal massive Probleme mit ihrem Gewicht hatte. Doch es gab Zeiten, in denen war Marie viel zu dünn und ließ niemanden an sich heran. Mit ihrer Geschichte zeigt das Internet-Gesundheitsportal www.imedo.de, wie wichtig soziale Kontakte sind und dass sich Betroffene nicht zurückziehen sollten.
Marie ist eine ganz normale junge Frau. Groß gewachsen, schlank, dunkle Haare, braune Augen. Sie ist die Zweitälteste von fünf Töchtern. In ihrer Kindheit wurde eine Autoimmunkrankheit diagnostiziert, gegen die sie Cortison-Tabletten bekam. Von dem Cortison nahm Marie zu. Sie wurde pummelig. Neben diesem bekam Marie auch andere Probleme. Sie war in der Schule nicht besonders beliebt und legte sich mit Lehrern an. Die ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht liefen auch nicht besonders gut. Kurz: Marie begann, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. Also holte sie sich die Kontrolle zurück. Indem sie sich selbst und ihr Essen kontrollierte. Das hatte schnell Auswirkungen. Marie wurde schlanker. „Am Anfang bekam ich nur positive Bestätigung“, sagt sie gegenüber imedo. „Alle haben mir gesagt, wie toll ich aussehe.“ Aber als der Wendepunkt kam und Marie zu dünn wurde, „hat mir das keiner ins Gesicht gesagt.“ An diesem Punkt konnte sie bereits nicht mehr aufhören. In ihren magersten Zeiten wog Marie weniger als 50 Kilogramm auf 1,78 Meter Körpergröße. Das ergibt einen durchschnittlichen BMI von 15. Normal ist ein BMI zwischen 19 und 24.
Therapie gegen Magersucht abgebrochen
„Kollegen haben meine Mutter auf mich angesprochen, ich würde so schlecht aussehen“, erzählt Marie. „Ich selbst habe nie ein Problem gesehen. Ich hatte ja auch keine Nebenerscheinungen.“ Weder seien ihr die Haare ausgefallen, noch hätte sie Kreislaufprobleme gehabt. Ihre Familie hat immer wieder auf sie eingeredet und sie schließlich zu einer Behandlung gedrängt. „Aber da saß eine Frau vor mir, die etwa 130 Kilo wog und wollte mir erzählen, ich soll zunehmen.“ Nach drei oder vier Sitzungen ist Marie dort einfach nicht mehr hingegangen. „Sie wollte, dass ich Bilder male, die ausdrücken, was ich fühle. Da habe ich einfach gemalt, was sie sehen wollte, Klischee eben.“ Trotzdem hat sich Marie irgendwann gezwungen, mehr zu essen. „Das war zwanghaft, mit dem Gehirn nicht zu vereinbaren.“ Wenn sie zum Frühstück mit Freunden zwei Brötchen aß, gab es zum Mittag eben nur ein halbes. Das Essen bestimmte ihre Gedanken, ihren Tagesablauf. Und auch, wenn Marie nie mit der Waage die Zutaten abgewogen hat, so hat sie doch immer im Hinterkopf überschlagen, wieviele Kalorien das Essen hat. So ging das lange Zeit. Sie nahm zwar nicht weiter ab, aber auch nicht zu. Sie fand sich immer noch zu dick, begann mit Spinning-Kursen im Fitness-Studio, ging schwimmen.
Magersucht hat sich von allein reguliert
Nach ihrer Ausbildung begann Marie ein Studium in einer anderen Stadt, weit weg von Zuhause. Auch dort wollte sie weiter sich und ihr Leben kontrollieren. Ihre Eltern ließen sich ein „Bonussystem“ einfallen: „Wenn du das nächste Mal nach Hause kommst und drei Kilo mehr wiegst, bekommst du...“. Marie erzählt: „Immer, wenn ich zu Hause bei meinen Eltern ankam, musste ich als erstes auf die Waage. Und wehe, es waren weniger als 57 Kilo.“ Mit der neuen Umgebung kamen auch neue Männer in Maries Leben, „aber ich hatte immer das Gefühl, die wollen mich nur zum Vorzeigen.“
Dann lernte sie Christian kennen. Er nahm sie ernst. Er hörte ihr zu, nahm sie wahr. Ihm war es nicht wichtig, wie sie von außen aussah, sondern nur, wie sie von innen ist. „Und damit wurde die Kontrolle unwichtiger, die Sucht hat sich sozusagen von alleine reguliert“, sagt Marie heute. „Was auch ganz wichtig ist: er kann kochen und das kann ich nicht.“ Menschen, die Marie kennen, bemerken, dass sie sich total verändert hat. Sie ist viel ruhiger geworden, akzeptiert sich, wirkt nicht mehr gehetzt und ist auch nicht mehr so abweisend wie früher. Bei Christian hat sie die Ausgeglichenheit gefunden, die ihr vorher gefehlt hat. Und doch ist Marie nur eine „essende“ Magersüchtige, bei Stress und Streit fällt ihr das Essen noch immer schwer. So, wie ein trockener Alkoholiker immer in Gefahr ist, wieder zur Flasche zu greifen, ist auch Marie stets in Gefahr, wieder hungern zu müssen.
Den Namen hat die Redaktion geändert.
Auch über die Erfahrungen eines Mädchens mit Bulimie berichten die imedo-Gesundheitsnews.
Den Erfahrungsaustausch Magersüchtiger ermöglicht die imedo-Gesundheitscommunity mit der Gruppe zum Thema Magersucht.