Haben Sie sich schon einmal gefragt, weshalb Sie sich an bestimmte einmalige Erlebnisse ein Leben lang erinnern, das Lernen von Lateinvokabeln jedoch mühsames Wiederholen erfordert? Die Antwort: Schon unsere frühesten Vorfahren mussten sich sofort einprägen können, wo sie gefährlichen Tieren begegneten, wie sie den Weg von einem neuen Streifzug zurückfinden konnten oder wo eine neue Nahrungsquelle entdeckt worden war. So etwas zu vergessen konnte tödlich sein - und das gilt leider nicht für Vokabeln. Wir besitzen für das Erinnern bedeutsamer Ereignisse einen speziellen Hirnteil, den Hippocampus. Schon seit Urzeiten setzt die Natur seine besonderen Fähigkeiten dazu ein, einmalig gemachte Lebenserfahrungen zu sammeln und emotional zu bewerten.
Unter Zeitmangel ernähren wir uns nicht richtig, schlafen und bewegen uns zu wenig. Bewegungsmangel signalisiert unserem Jäger- und Sammlergehirn, das sich übrigens nach neuesten Erkenntnissen seit vielen Jahrtausenden nicht verändert hat, dass kein großer Hippocampus benötigt wird. Chronischer Zeitmangel erzeugt chronischen Stress, ebenso wie Einsamkeit, also der Mangel an echten persönlichen Beziehungen. Infolgedessen wächst der Hippocampus beim modernen Menschen nicht, er schrumpft. Jährlich geht beim Erwachsenen etwa ein Prozent verloren, und damit wertvolle Lebenszeit. Durch die Verkleinerung des Hippocampus wird er Jahr für Jahr weniger leistungsfähig und ist zunehmend überfordert. Dazu kommt, dass die neuen Hirnzellen auch dazu da sind, unsere emotionale Reaktion auf die Umwelt zu regulieren. Sie gleichen beispielsweise ab, ob eine vermeintlich gefährliche Situation tatsächlich gefährlich ist. Dazu sind die bestens in der Lage, denn sie erfahren alles was passiert und zugleich haben sie über den Hippocampus Zugang zu unserem gesamten Erfahrungsschatz. Fehlen die neuen Hirnzellen jedoch, weil wir durch unsere Lebensweise ihre Entstehung verhindern, kommt es ständig zu einer übermäßigen emotionalen Reaktion auf objektiv betrachtet relativ harmlose Situationen oder Gedanken. Die Folge ist, es wird ebenfalls ständig zu viel und zu lange Cortisol ausgeschüttet. Cortisol, das eigentlich der Stressabwehr dient, wird dadurch nun selbst zum Stressor: im Hippocampus bildet sich durch die hohe Cortisol-Aktivität das sogenannten Alzheimer-Toxin. Dies befällt bei Überlastung zunächst „nur“ den Hippocampus, breitet sich dann aber im ganzen Gehirn aus. Spätestens dann ist die Alzheimer-Krankheit nicht mehr zu stoppen.
Wie funktioniert der Hippocampus eigentlich?
Der Hippocampus verdankt seinen Namen seiner äußeren Form, die an ein Seepferdchen erinnert. Um sicher zu sein, dass wir auch bestimmt nichts Lebenswichtiges vergessen, besitzen wir zwei davon, je einen tief im Bereich der Schläfen. Jeder ist etwa daumengroß und hat eine Aufnahmekapazität von etwa einem Tag. Damit stets neue Erfahrungen erinnert werden können, ohne frühere zu überschreiben, muss alles, was unsberührt und bewegt hat, ins Großhirn transportiert werden. Dieser Erinnerungstransport geschieht nur, wenn wir tief und fest schlafen und alleine schon dieser Umstand macht den Schlaf zu einem essentiellen Teil unseres Lebens: Im Großhirn werden die Gedächtnisinhalte langfristig gesichert. Durch ihre Verknüpfung gewinnen wir Einsichten.
Nach diesem Abspeichern merkt sich der Hippocampus dann nur noch, wann und wo etwas passierte, er dient als eine Art Inhaltsverzeichnis unserer Erfahrungen. Nur über dieses können wir sie uns wieder bewusst machen. Der Hippocampus wird somit zum Tor zu unseren Erinnerungen. Tag für Tag kommen neue Inhaltsangaben dazu, und das bedeutet, dass der Hippocampus mit der Erfahrung wachsen, sprich neue Hirnzellen bilden muss. Und das tut er auch, und zwar ebenfalls immer nachts, wenn wir schlafen. Das tagaktive "Stressbekämpfungshormon" Cortisol würde dies verhindern, weshalb es im Schlaf herunter reguliert wird. Dafür werden andere Hormone aktiv, die es unserem Hippocampus als einzigem Hirnteil ermöglichen, bis ins höchste Lebensalter täglich Tausende neuer Hirnzellen zu bilden.
Was können wir tun um Alzheimer zu vermeiden?Doch woher weiß der Hippocampus, dass er neue Hirnzellen benötigt? Diese Information vermittelt ihm nicht unser Geist, sondern unser Körper! Das heißt aber auch, nur als Individuum (wörtlich: ungeteilt) bleiben wir geistig fit. Immer wenn wir uns bewegen, teilt unser Körper über hormonelle Signale dem Hippocampus mit, dass mit neuen Erfahrungen zu rechnen ist. Dies lässt neue Hirnzellen sprießen.
Doch das allein genügt nicht, denn um zu wachsen, benötigen sie die richtigen Baustoffe. Das beste Beispiel dafür, was für das Hirnwachstum förderlich ist, ist die dafür optimierte Muttermilch. Sie enthält die lebenswichtigen ungesättigten Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren in bioaktiver Form und im idealen Verhältnis, sowie gesättigte Fettsäuren, die in der kindlichen Leber zu sogenannten Ketonkörpern verstoffwechselt werden und die Hirnzellen des Neugeborenen mit Energie versorgen. Beim Erwachsenen bilden sich Ketonkörper ebenfalls nur, wenn gesättigte Fettsäuren die Leber erreichen. Mittelkettige Fettsäuren, wie die in der Muttermilch, findet man auch reichlich in Kokosöl, und vermutlich stand die Wiege der Menschheit unter einer Kokospalme. Auch die langkettigen Fettsäuren, wie sie in unseren Fettdepots als Energiereserve lagern, können – in Ketonkörper umgewandelt – als Hippocampus-Nahrung dienen, solange wir auf Zucker und prozessierte Stärke in der Nahrung verzichten. Denn das Zuckerstress-Hormon Insulin verhindert die Ketonkörper-Produktion und macht unseren Hippocampus von einer ständigen Zuckerzufuhr abhängig. Dies bereitet uns Heißhungerattacken, die nicht nur zu Diabetes und Fettsucht führen, sondern langfristig auch zu Alzheimer, wenn der Hippocampus resistent gegen diese einseitige Ernährung wird und unter Energiemangel leidet.
Damit neu gebildete Hirnzellen überleben und zu unserem Erinnern beitragen können, müssen sie untereinander Kontakte knüpfen und diese pflegen. Und was für die Hirnzellen gilt, gilt auch für uns. Einsamkeit ist tödlich, sowohl für den Hippocampus, als auch für die Einheit Mensch. Wir benötigen neue Erfahrungen, machbare Herausforderungen und einen Sinn im Leben, der meist in der Tatsache besteht, von anderen Menschen gebraucht zu werden. Dies setzt Hormone frei, die als „Dünger fürs Gehirn“ wirken!
Wir haben es also selbst in der Hand, ob täglich neue Hirnzellen sprießen und sich vernetzen, ob unser Hippocampus wächst, ob wir ein lebenswertes Leben führen im Einklang mit unseren körperlichen und geistigen Bedürfnissen, ob wir ein Leben lang Erinnerungen ansammeln und dadurch immer mehr Lebenszeit (was anderes sind unsere Erinnerungen?) und Einsichten gewinnen und das, was manche Weisheit nennen.
Autor: Dr. med. Michael Nehls