Die Diagnose und Therapie von Altersdepressionen ist nicht die gleiche wie die von Depressionen bei
jüngeren Menschen. Eine aktuelle Studie zeigt nun, dass eine unnormale Wahrnehmung von Emotionen bei Patienten mit Altersdepressionen zu diesen Unterschieden beitragen könnte.
[caption id="attachment_16016" align="alignright" width="93" caption="Dr. Rose Shaw"][/caption]
Dr. Rose Shaw, Psychotherapeutin aus München, hat eine Presseerklärung zu der Untersuchung vom Mai 2010 übersetzt und zusammengefasst, die einen Aspekt der deutlich anderen Sichtweise der Patienten beschreibt:
Fehlinterpretation von fröhlichen, traurigen oder neutralen Gesichtern bei Depressionspatienten
Wissenschaftler haben eine wichtige Beobachtung gemacht, die helfen könnte zu verstehen, warum Depressionen bei älteren Menschen schwieriger zu behandeln sind und der Erfolg oft nicht von Dauer ist. Die Studie unter Leitung von Wissenschaftlern des Baycrest, einem geriatrischen Forschungszentrum in Toronto (Kanada), zeigte, dass ältere Menschen mit Depressionen nicht normal auf emotionale Reize wie zum Beispiel den Anblick fröhlicher, trauriger oder neutraler Gesichter reagieren.
Die Studie erschien im Mai 2010 online im American Journal of Geriatric Psychiatry und ist wahrscheinlich die erste Veröffentlichung, die die Verarbeitung emotionaler Reize speziell bei solchen älteren Depressionspatienten untersucht, die nicht medikamentös behandelt werden. „Unsere Studie zeigte, dass es deutliche Unterschiede zwischen älteren Patienten mit Depressionen und gesunden älteren Menschen in der Art und Weise gibt, wie sie emotional auf den Ausdruck von Gesichtern reagieren und ihn wahrnehmen“, erklärt Dr. Linda Mah, die Leiterin der Studie und klinische Wissenschaftlerin an der Mood Clinic von Baycrest.
Emotionale Fehlregulation ist ein wohl bekanntes Symptom von Depressionen bei Patienten mittleren Alters, und schon einige Studien haben gezeigt, dass sie das Risiko für ein späteres Wiederauftreten emotionaler Depressionssymptome bei Patienten erhöht. Jedoch haben sich Studien über Altersdepressionen überwiegend auf den Zusammenhang zwischen wiederkehrenden Depressionen und geistigem Verfall konzentriert. Diese Untersuchungen haben gezeigt, dass die Prognose der Depressionen mit fortschreitendem geistigen Verfall schlechter wird.
Test belegt geringere Empfindlichkeit gegenüber emotionalen Reizen
„Unsere Daten zeigen, dass wir die Emotionen eingehender untersuchen müssen, um die Neurobiologie von Altersdepressionen besser verstehen und somit effektiver behandeln zu können, so dass die Besserung länger anhält“, sagt Dr. Mah.
Für die Studie nahmen elf Patienten mit klinischen Depressionen, die in einer ambulanten Klinik nicht-medikamentös behandelt wurden, sowie elf gesunde Kontrollpersonen an zwei psychologischen Tests teil, in denen sie Fotos von Gesichtern betrachteten, die verschiedene Emotionen zeigten: fröhlich, traurig, ängstlich oder neutral. Die Testpersonen waren zwischen 60 und 78 Jahre alt. Im ersten Test sollten die Teilnehmer eine physische Eigenschaft von Gesichtern beurteilen, ohne dabei den emotionalen Ausdruck zu bewerten. Im zweiten Test sollten die Teilnehmer den emotionalen Ausdruck von Gesichtern beurteilen. Die Ergebnisse zeigten, dass die gesunden Kontrollpersonen 16 Prozent mehr Zeit brauchten, um die physischen Eigenschaften bei Gesichtern mit einem positiven oder negativen Gefühlsausdruck (fröhlich, traurig oder ängstlich) zu beurteilen als bei neutralen Gesichtern. Das deutet darauf hin, dass sie der Gefühlsausdruck der Gesichter ablenkte oder anderweitig beeinflusste. Dagegen waren die Reaktionszeiten der Patienten mit Depressionen gleich, unabhängig davon, ob sie die physischen Eigenschaften von Gesichtern mit einem emotionalen oder einem neutralen Ausdruck bewerteten. Das zeigt, dass die Patienten weniger empfindlich auf den positiven oder negativen Gefühlsausdruck der Gesichter reagierten.
Emotionale Reize werden insgesamt negativer wahrgenommen
Im zweiten Test machten die Depressionspatienten über 60 Prozent mehr Fehler als die gesunden Kontrollpersonen, wenn sie neutrale Gesichter beurteilen sollten. Denn die Depressionspatienten hielten neutrale Gesichter oft für fröhlich, traurig oder ängstlich.
Dr. Mah bemerkt, dass diese Schwierigkeiten beim Deuten des emotionalen Gesichtsausdruck anderer Menschen soziale Folgen haben und die Qualität der sozialen Interaktion mit anderen beeinträchtigen können. Außerdem macht sie darauf aufmerksam, dass sich diese unnormale Verarbeitung von Emotionen bei älteren Patienten mit Depressionen von der bei jüngeren Patienten unterscheidet, da sie emotionale Reize insgesamt negativer wahrnehmen und verarbeiten als gesunde Menschen.
Dr. Rose Shaw
Zur Autorin: Die Diplom-Psychologin und psychologische Psychotherapeutin mit Praxen in München und Düsseldorf ist zugleich Lehrtherapeutin und Dozentin für verschiedene Ausbildungsinstitute. Einige ihrer Fachgebiete: Verhaltenstherapie bei Erwachsenen und Kindern, Klinische Hypnose, Behandlung von traumatischen Störungen, Prüfungs- und Auftrittsangst, kindlicher Adipositas u.v.m. Neben Artikeln in Lehrbüchern und Fachzeitschriften publizierte die Psychologin auch verschiedene Bücher als Co-Autorin. Weitere Informationen auf www.praxis-dr-shaw.de.
Quellen:
Dr. Rose Shaw, Blog „Psychologie Aktuell“, 27. Mai 2010
Baycrest News, 4.5.10
Mah & Pollock. American Journal of Geriatric Psychiatry, April 2010