Sportmediziner, Allergologen, Allgemeinmediziner, Schwimmweltmeister, Kabarettisten und Ernährungsmediziner gehören zum Expertenteam des Gesundheitsportals www.imedo.de. Wöchentlich berichten die Experten darüber, was Anfänger beim Sport beachten sollten, wie Pollen-Allergiker unbeschadet durch den Sommer kommen und wie Reisende im Urlaub gesund bleiben. In dieser Woche warnt der Mediziner und Kabarettist Dr. Eckart von Hirschhausen* vor den Nebenwirkungen von Glück. Er rät: „Lass einfach alles weg, was das Leben nachweislich verkürzt.“
Glück ist kein Naturzustand, Gesundheit auch nicht. Nicht jeder, der gesund ist, ist glücklich. Und nicht jeder, der krank ist, ist unglücklich. Aber wer öfter glücklich ist, wird seltener krank und lebt länger. Sein Glück zu mehren ist die beste Prävention. Ruut Veenhoven von der Erasmus-Universität in Rotterdam erforscht seit Jahren das Zusammenspiel von Glück und Gesundheit. Über 30 Einzelstudien bestätigen: Glücklichsein schützt konkret vor Herzinfarkten, Infekten und Diabetes – und natürlich auch vor Depression, dem Gegenteil von Glück. Auch deshalb schreibe ich diesen Text und bin jetzt mehr Arzt als Komiker.
Wie positive Gefühle auf den Körper wirken und wie uns chronische Krankheiten mürbe machen können, wird gerade erst als Forschungsthema entdeckt. Klar ist: Stress verursacht Unglück. Und Unglück verursacht Stress. Darunter leiden nicht nur die Laune und die Blutgefäße, sondern auch das Immunsystem. Wenn man Versuchspersonen eine definierte Menge an Schnupfenerregern ins Gesicht pustet, werden diejenigen seltener krank, die zu dem Zeitpunkt gut gelaunt sind. Die anderen haben vorher und nachher die Nase voll.
Glückliche Menschen reagieren gelassener auf Belastungen
Glückliche Menschen haben einen gesünderen Lebensstil: Sie achten auf ihr Gewicht, sind sportlicher und gehen verantwortungsvoll mit Alkohol und Zigaretten um. Weiterhin aktivieren Freude und Glück den Körper und machen ihn fitter. Bei unglücklichen Personen beobachtet man das Gegenteil: Ihre körperliche Aktivität sinkt und sie sind anfälliger für Krankheiten. Wenn Menschen jedoch bereits schwer krank sind, verlängert ein positiver Gemütszustand nicht das Leben, wohl aber die Lebensqualität. Dafür können Menschen informiert, trainiert und angeleitet werden, sich glücklich zu fühlen und auf einen Gutteil ihres Stresses zu verzichten. Auf diese Weise würden weniger Personen krank und die Kosten einer Behandlung könnten somit für eine sinnvolle Vorsorge verwendet werden.
Freude stärken, Leiden mindern
Dieses brauchbare Lebensmotto findet sich im Buddhismus und dem Christentum genauso wie im hippokratischen Eid. Und so verstehe ich auch diesen Text: Sollte er Sie glücklich machen, freut mich das. Aber der größere Effekt könnte sein, dass Sie sich nicht mehr für unglücklicher halten, als Sie sind. Das ist so ähnlich wie beim Salatessen. Warum ist Salat so gesund? Weil man, während man Berge von Salat isst, sich den Magen nicht mit etwas Ungesundem vollschlägt. Deshalb nimmt man auch ab, wenn man viel lacht. Nicht etwa, weil man beim Lachen nennenswert Kalorien verbrennt, sondern weil man beim Lachen nicht essen kann. Oder etwas philosophischer: „Glück ist Unglück, was man nicht hat.“
Der effektivste Trick, sein Leben zu verlängern, ist tatsächlich kein großes Geheimnis, sondern erschreckend banal: Lass einfach alles weg, was das Leben nachweislich verkürzt. Wer nicht raucht, nicht zu viel säuft und frisst und Spaß mit sich und anderen hat, lebt 14 Jahre länger als einer, der lieber Risikofaktoren sammelt und alles daransetzt, seine Sammlung auch zu vervollständigen.
Brokkoli hat die größte Wirkung, vor Krebs zu schützen, bei den Menschen, die am wahrscheinlichsten Krebs bekommen – bei den Rauchern. Ob die anderen viel von Brokkoli profitieren, ist schwerer zu belegen. Aber das heißt nicht, dass Sie jetzt mit dem Rauchen anfangen müssten oder mit Brokkoli aufhören sollten.
Nicht rauchen, sondern bewegen und Gemüse essen
Als ich noch Kinderarzt in der Charité war, hatte ich die erste Begegnung mit dem „Gesetz der umgekehrten Bedürftigkeit“. Welche Eltern bringen ihre Kinder pünktlich zu allen Untersuchungen? Die, die sich sowieso schon kümmern. Das sind nicht die Familien, die den Arzt am dringendsten bräuchten. Da dachte ich: „Mensch, warte nicht im Krankenhaus, bis die Kranken zu dir kommen. Sorg dafür, dass sie gar nicht erst krank werden. Mach Prävention, bring medizinisches Wissen in die Öffentlichkeit, mach Gesundheitsfernsehen.“ Ich habe fünf Jahre in der ARD eine wöchentliche Gesundheitssendung moderiert. Jeden Donnerstag fasste ich sinngemäß zusammen: nicht rauchen, sondern bewegen, Gemüse essen. Jetzt frage ich Sie: Wer guckt so eine Sendung? Genau: alle, die das schon wissen. Die Raucher, die sich nie von der Fernsehcouch wegbewegen und Pommes für Gemüse halten, schauen selten ARD-Gesundheitsmagazine. Die gucken RTL II. Man predigt immer den Falschen. Das ist in der Kirche auch so. Die, die in die Kirche kommen, denen muss man kein schlechtes Gewissen machen. In der Wirtschaft gilt genau das Gleiche. Wenn man Telefonmarketing für Hörgeräte macht – die, die rangehen, sind nicht die, die sie am dringendsten brauchen. So steht zu befürchten, dass Sie gar nicht so schlecht drauf sind. Diese Worte können einen Besuch beim Arzt nicht ersetzen – aber vielleicht anregen.
Depression: alles ist sinnlos, hoffnungslos, emotionslos
Und deshalb noch ein paar ernste Worte zum Thema Depression: Was ist das Gegenteil von Glück? Unglück? Könnte man denken. Glück geht vorbei, Unglück auch. Das Gegenstück zu Glücksgefühlen ist, wenn man gar nichts mehr fühlt. Depression ist die Krankheit der „-losigkeit“. Alles ist sinnlos, hoffnungslos, emotionslos. Wer unter Depressionen leidet, ist schlaflos, antriebslos und wäre am liebsten sich selbst ganz los. Die Depression ist die häufigste seelische Störung überhaupt und auch die teuerste: Sie kostet viele Menschen das Leben durch Suizid, sie kostet zusammengenommen viele Jahrhunderte an Lebensqualität und sie kostet die Gesellschaft Milliarden, weil Depressive lange ausfallen als Eltern, Lehrer, Partner oder Steuerzahler. Fünf Millionen Menschen sollen in Deutschland depressiv sein, wobei strittig ist, ob die Krankheit tatsächlich zugenommen hat oder nur die Aufmerksamkeit für die Diagnose.
Die Neurologen und Psychiater unterteilen Depression in verschiedene Schweregrade, je nachdem wie stark die Symptome ausgeprägt sind und wie lange sie schon anhalten. Eine Selbstdiagnose macht wenig Sinn: Manche Patienten neigen zur permanenten Selbstbeobachtung der Psyche und machen sich dadurch das Leben schwer. Die anderen ignorieren dagegen jede seelische Komponente und rennen jahrelang wegen Herz-, Rücken- oder Verdauungsproblemen zum Arzt, bis einer die richtige Diagnose stellt. Aber alles ist besser als gar nicht zum Arzt zu gehen.
Was passiert bei einer Depression im Gehirn?
Die komplizierten Gleichgewichte der verschiedenen Signalstoffe sind gestört. Maßgeblich fehlen Serotonin und Noradrenalin. Das erste Hormon signalisiert normalerweise Freude, das zweite Antrieb – beides fehlt dem Depressiven. Zudem fehlt es an Nervenwachstum. Genauso, wie sich der Depressive von seiner Außenwelt zurückzieht, haben auch die Nervenzellen im Hirn keine Lust mehr, sich anzustrengen und neue Kontakte zu knüpfen. Was zuerst kommt, der äußere oder der innere Rückzug, ist wie bei der Henne und dem Ei schwer zu klären. Aber das fehlende „Netzwerken“ im Kopf erklärt sehr gut, warum eine Behandlung mit Medikamenten nie sofort anschlägt: Bis sich die Synapsen wieder berappelt haben und neugierig auf andere zugehen, vergehen mindestens zwei bis vier Wochen.
Welchen „Sinn“ macht eine Krankheit der Sinnlosigkeit?
Am ehesten den einer Notbremse. Permanenter Stress und Überforderung führen zum Rückzug aus dem aktiven Leben, der Betroffene spart Energie und bringt andere dazu, ihn zu unterstützen. Wer einmal mit schwer Depressiven zu tun hatte, weiß, dass es ein Stadium gibt, in dem alle gut gemeinten Ratschläge wie „Raff dich doch einfach auf“ nichts nützen und nur alle Beteiligten noch hilfloser machen und bisweilen auch wütend. Depression ist eine Krankheit, kein Versagen. Wenn Sie ausgebrannt sind, gilt das Gleiche, wie wenn Ihre Wohnung brennt: Holen Sie Hilfe! Am besten schon, wenn Sie die ersten Rauchzeichen wahrnehmen.
Die gelernte Hilflosigkeit
Depression kommt meist nicht aus heiterem Himmel, sondern entsteht aus trüben Gedanken, die einen in endlosen Spiralen abwärts ziehen. Ein eindrucksvolles Tierexperiment revolutionierte das Verständnis dieser Lernprozesse. Martin Seligmans bahnbrechende Entdeckung war in den 60er-Jahren die „gelernte Hilflosigkeit“. Hunde, die in einem Käfig saßen, bekamen Futter, Wasser und – kleine Stromstöße. Die waren nicht gefährlich, aber unangenehm. Ein paar Stromstöße verträgt jeder, aber wenn sie immer wieder ohne ersichtlichen Grund kommen und ich „armer Hund“ nichts dagegen unternehmen kann, ergebe ich mich bald in mein Schicksal. Die Hunde legten sich apathisch hin und machten keinerlei Anstalten, sich aus der unangenehmen Situation zu befreien. So ähnlich fühlen sich viele Menschen, die sich sinnlos vom Schicksal mit Schlägen gebeutelt sehen, beispielsweise durch den Verlust des Arbeitsplatzes. Wer selbst kündigt, fühlt sich ganz anders als jemand, der sich angestrengt hat, aber trotzdem geht die Firma pleite und er wird arbeitslos. Das macht depressiv.
Die eigentliche Erkenntnis kam, als Seligman den Käfig öffnete. Was geschah? Nichts. Die Hunde hätten abhauen können, aber sie taten es nicht. Sie hatten die Hilflosigkeit gelernt, sodass sie keinen Schritt mehr in die eigene Freiheit unternehmen wollten. Depressive Menschen erschaffen sich ihren Käfig in Gedanken und wenn Stöße und Erschütterungen dazukommen, können sie sich nicht mehr aus ihren Denkgittern und Endlosschleifen befreien: „Ich bin wertlos, meine Welt ist düster, meine Zukunft ist hoffnungslos.“
Kognitive Verhaltenstherapie
Diese typischen Denkmuster zeigen, dass man nicht nur Hilflosigkeit lernen kann, sondern auch Optimismus, indem man lernt, die Denkmuster zu unterbrechen. Die Methode heißt „Kognitive Verhaltenstherapie“ und ist nach heutigem Wissensstand eine der wirksamsten Methoden überhaupt, Depressionen zu behandeln. Was hilft noch? Den Umgang mit sich und anderen achtsamer gestalten: Die sozialen Fähigkeiten übt die „Interpersonelle Therapie“ (IPT) und die Achtsamkeitsmeditation unterstützt den gelasseneren Umgang mit sich selbst.
Welche Rolle spielen Medikamente?
Bei leichter Depression braucht man sie nicht. Bei schwerer Depression ist ein Gespräch oft unmöglich und somit können Medikamente helfen, eine psychotherapeutische Situation überhaupt erst möglich zu machen. In Amerika gehört es zum Lifestyle, Antidepressivum zu nehmen, in Deutschland gehört es zum Lifestyle, Psychopharmaka in Bausch und Bogen zu verdammen. Beides ist meiner Ansicht nach nicht hilfreich: Wer nicht depressiv ist, hat wenige Vorteile von Antidepressiva. Wer aber schwer depressiv ist, tut sich keinen Gefallen, keine Medikamente zu nehmen. Sie wirken langsam und auch in der Wahl des Mittels muss man geduldig sein. Sie machen nicht süchtig, denn sie geben keinen Kick, weil sie mehrere Wochen brauchen, um zu wirken. Somit durchlebt man keinen Entzug, wenn man sie nicht mehr nimmt. Niedrig dosiert verhindern sie auch Rückfälle.
Nur jeder fünfte Patient mit Depression in Deutschland wird richtig erkannt und behandelt. Dass jemand mit einer angeborenen Neigung zur Kurzsichtigkeit sich eine Brille verschreiben lässt, regt niemanden auf. Wenn jemand mit einer angeborenen Neigung zur Schwarzsichtigkeit und Freudlosigkeit ein Medikament verschrieben bekommt, das seine Hirnchemie korrigiert, erscheint uns das immer noch wie ein Frevel. Das kommt mir irgendwie kurzsichtig vor.
Das beste Mittel gegen die krankhafte Schwermut bleibt das Glück, in vielen kleinen Schritten. Seinen Weg zu ändern ist manchmal leicht. Meistens braucht es Wiederholungen, bis man etwas wirklich verstanden hat.
Lesen Sie weiter in der imedo-Gesundheitskolumne „Wohlstand macht krank“ von Dr. Thomas Kurscheid.
Wenn Sie befürchten, dass Sie Burnout-gefährdet sind, können Sie sich in dem imedo-Infocenter zum Thema „Burnout“ ausführlich informieren und Ihre persönliche Gefährdung online testen.
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*Der Mediziner und Kabarettist Dr. med. Eckart von Hirschhausen ist bei imedo.de für das satirisch-humoristische in der Medizin zuständig. Er verläßt niemals das wissenschaftliche Niveau und bleibt doch bissig! Seine Kolumnen machen glücklich und helfen der Leber bei der Arbeit.