Andrea Windbichler
Andrea Windbichler ist von Geburt an blind. Nachdem die heute 29-jährige Frau ihren Job in einem Familienbetrieb als Telefonistin verlor, machte sie sich auf die Suche nach einer neuen Herausforderung, die sie auch persönlich ausfüllen sollte. Eine Reportage bei Stern TV (2009) über eine blinde Frau, die mit Hilfe ihrer Hände Brüste nach Krebs abtastet, half ihr auf die Sprünge. Frau Windbichler möchte auch ihren hochsensiblen Tastsinn dafür einsetzen, anderen Frauen zu helfen. Nach der Sendung mit Günther Jauch war sie hochmotiviert und erkundigte sich bei
„discovering hands“, einem Projekt des Gynäkologen Dr. Frank Hoffmann, nach Einstiegsmöglichkeiten und Anforderungen.
Eignungstest und Ausbildung
Noch im selben Jahr nahm Andrea Windbichler an einem Eignungstest teil, der ihre Qualifikation für eine „Medizinische Tastuntersucherin“ (MTU) bestätigte. Bereits drei Monate später, im Januar 2010, begann sie dann ihre Ausbildung. Um die Theorie auch in der Praxis einzusetzen, lernte Frau Windbichler das Ertasten von Veränderungen an der Brust zuerst an Silikon-Modellen. Diese Veränderungen können sich in verschiedenen Ebenen der Brust und auch im umliegenden Gewebe befinden, dadurch ist es notwendig die Abweichungen genau zu lokalisieren. Nach erfolgreich abgeschlossener Prüfung darf sich Frau Windbichler nun „Medizinische Tastuntersucherin“ (MTU) nennen.
Das Problem
Diese innovative Untersuchungsmethode trägt dazu bei, dass den ca. 72.000 Frauen, die jährlich neu an Brustkrebs erkranken, schneller geholfen wird und die 17.000 Sterbefälle pro Jahr dadurch weiter reduziert werden, da die Erkennung im Frühstadium mit relativ hohen Heilungschancen verbunden ist. Leider besteht in Deutschland der Anspruch auf ein Mammographie-Screening erst bei Frauen ab 50, obwohl die Haupttodesursache für Frauen zwischen 40 - 44 Jahren Brustkrebs ist. Der Einsatz der Mammographie bei "jüngeren" Frauen ist indikationsgebunden, setzt also einen definierten Verdachtsbefund voraus. Die Brusttastuntersuchung stellt für Frauen unter 50 bislang die einzige Brustkrebs-Früherkennungs-Maßnahme dar. Ungenauigkeiten können hierbei einerseits durch den Zeitdruck des
Gynäkologen und andererseits auch dadurch entstehen, dass es keine standarisierten Richtlinien dieser Untersuchungsmethode gibt. Durch den Einsatz einer „Medizinischen Tastuntersucherin“ (MTU) kann diese Untersuchung wesentlich angenehmer ablaufen und verspricht somit in Zukunft einen regen Zulauf. Ein weiterer Vorteil dieser neuen Maßnahme ist die exaktere Lokalisierung der Brustgewebeveränderungen im Vergleich zu einer Röntgenuntersuchung.
Arbeitsstelle und Beschreibung einer typischen Untersuchung
Heute kann man eine zufriedene Andrea Windbichler beobachten, wie sie in der gynäkologischen Gemeinschafts-Praxis Dr. Madeleine Haas & Kollegen ihre neue Tätigkeit ausführt. Unter Aufsicht eines Arztes ist sie zuständig für Anamneseerhebungen, elektronische Befunddokumentationen und für die Durchführung klinischer Befunderhebungen. Frau Windbichler nimmt sich Zeit für ihre Patientinnen, in der Regel dauert eine Untersuchung 30 Minuten, kann aber von Fall zu Fall variieren. Um mögliche Veränderungen des Brustgewebes ertasten zu können, wird die Untersuchung im Sitzen und im Liegen durchgeführt. Ein weiteres Hilfsmittel für die blinde Tastuntersucherin sind selbstklebende Bänder mit tastbaren Punkten, die im Zentimeterabstand angebracht sind. Durch die Einteilung des Oberkörpers in vier Sektoren kann zum einen sehr genau dokumentiert werden, wo sich eine mögliche Veränderung befindet und zum anderen besteht die Sicherheit, dass auch alle potenziellen Partien untersucht wurden. Nicht zu vergessen ist die Partie der Achselhöhlen und der Lymphknoten, da sich auch hier Gewebeveränderungen platzieren können. Nach der Tastuntersuchung entscheidet der Arzt über evtl. weitere erforderliche Schritte, z.B. Brustultraschall und/ oder Mammographie. Bei sehr dichtem Brustdrüsengewebe eignet sich ein Brustultraschall mehr, da die Aufklärungsquote mit Hilfe einer Mammographie in diesem Fall relativ unzuverlässig ist.
Die Wahrscheinlichkeit einen Tumor zu übersehen sinkt mit Hilfe einer MTU enorm
„Medizinische Tastuntersucherinnen“ werden mittlerweile händeringend gesucht, da sie in Routineuntersuchungen ca. 30 Prozent mehr Gewebeveränderungen entdeckten als Gynäkologen. Auch die Größe der Befunde ist ausschlaggebend: bis zu 50% kleinere Gewebeveränderungen konnten durch dieses Verfahren entdeckt werden. Fakt ist, dass Frauen mit Tumoren mit einem maximalen Durchmesser von bis zu 10 mm noch mindestens 20 Jahre überleben können, bloß vier Prozent sterben durch frühe Metastasierung. Natürlich steckt hinter den meisten Tastbefunden eine harmlose Veränderung, wie z.B. eine Zyste, aber die Wahrscheinlichkeit eine bösartige Brustgewebeveränderung früher zu erkennen ist dadurch enorm gestiegen.
Behandlungskosten
Mittlerweile übernehmen immer mehr Krankenversicherungen und Kassen (z.B. Siemens- und Mobil Oil) die Untersuchungskosten, die zwischen 30 - 46,50 Euro (IgeL) liegen.
Ausbildungskosten und allgemeine Informationen
Wer sich für die Tätigkeit einer „Medizinischen Tastunterscherin“ interessiert, kann sich bei den Berufsförderungswerken Düren, Halle an der Saale und Mainz oder bei dem Berufsbildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte in Nürnberg weitere Informationen einholen. Diese Institute bieten auch die Fortbildung zur MTU an, wobei Ausbildungskosten in der Regel von den Trägern der Blindenrehabilitation getragen werden. Weitere Informationen zu diesem Thema erhalten Sie direkt bei
www.discovering-hands.de.
Für innovative Ärzte
Sind Sie Gynäkologe und möchten ihren Patientinnen eine präzise Diagnostik in der Brustkrebsvorsorge bieten?
Dann entscheiden Sie sich für die Einstellung einer qualifizierten und hoch-motivierten MTU. Zur Förderung der Beschäftigung zahlt der Staat in den ersten drei Jahren bis zu 70 Prozent des Gehalts über einen Wiedereingliederungszuschuss.
Wie finde ich eine Medizinische Tastuntersucherin?
Wenn Sie auf der Suche nach einer Gynäkologiepraxis mit einer „Medizinischen Tastuntersucherin" sind, informieren Sie sich bitte hier:
MTU-Praxen.
Quelle: Horst Boss (boss-healthcolumn)