Die Körperwelten-Ausstellung gastiert in Berlin. Mit „Der Zyklus des Lebens“ gewährt Gunther von Hagens Einblicke in die Entstehung des Menschen, den Alterungsprozess und das Ableben. Redakteurin Tina Bernstein vom Internet-Gesundheitsportal www.imedo.de hat sich mit Gunther von Hagens über seine Intention der Ausstellung, Provokation, Kritik und die Angst vor dem Tod unterhalten.
imedo: Was wollen Sie mit der Ausstellung erreichen?
von Hagens: Die Ausstellung soll Gesundheitsbewusstsein vermitteln. Das tut sie auf zwei Arten: Einmal im Vergleich zwischen Gesundheit und Krankheit: Raucherlunge und Nichtraucherlunge oder normale Leber und Alkoholleber. Zum anderen zeigen die Ganzkörperpräparate immer auch eine Begegnung mit der eigenen Sterblichkeit, in der sich der Besucher spiegeln kann. Die Ausstellung zeigt ebenfalls, wie komplex und verletzlich das System Mensch ist. Als Arzt will ich eine stärkere Wahrnehmung des eigenen Körpers mit seinen Stärken und Schwächen bei den Besuchern erreichen und somit eine höhere Wertschätzung auf emotionale Art und Weise. Diese erlebte Anatomie soll die Herzen der Menschen für sich selbst öffnen.
imedo: Schaffen Sie das?
von Hagens: Schauen Sie in die Besucherbücher. Wir schaffen es total. Die Besucher betrachten und erfahren ihren Körper durch den Ausstellungsbesuch mit mehr Respekt und Ehrfurcht. Viele Besucher möchten nach ihrem Tod der Aufklärung und einem besseren Verständnis für das Wunder Mensch dienen und entscheiden sich für die Körperspende zur Plastination. Zwei bis drei Prozent waren es zu Beginn vor 15 Jahren, die es sich vorstellen konnten, als Plastinat ausgestellt zu werden. Mittlerweile sind es 20 bis 30 Prozent.
imedo: An wen kann ich mich wenden, wenn ich meinen Körper spenden möchte?
von Hagens: Entweder über die Internetseite der Körperwelten-Ausstellung oder direkt beim Institut für Plastination in Heidelberg. Über 10.000 Menschen haben das bisher getan. Ich werde mich selbst auch zur Verfügung stellen.
imedo: Was beeindruckt die Menschen am meisten?
von Hagens: Es interessiert die meisten Menschen, woran wir leiden und woran wir sterben. Dazu gehören die Organe mit ihren Grundfunktionen und Krankheiten. Wie ich weiß, sind nach Besuch der Ausstellung mehr als 50 Prozent bereit, mehr auf ihre Gesundheit zu achten und Sport zu treiben. Neun Prozent der Raucher wollen weniger oder gar nicht mehr rauchen. Es kommen auch Leute auf mich zu, die mir von ihren Erfahrungen erzählen, dann fühle ich mich als Arzt bestätigt.
imedo: Können Sie den Menschen die Angst vor dem Tod nehmen?
von Hagens: Das ist ein langer Prozess. Ich kann den Menschen einen Anstoß geben, über die Vergänglichkeit des Seins nachzudenken und sich mit der eigenen Sterblichkeit anzufreunden.
imedo: Was können Sie bei den Leichen feststellen. Verändern diese sich?
von Hagens: Der Körper vergisst nichts. Alles schlägt sich in den Organen und in der Anatomie nieder. Bevor ich Plastinator wurde, bin ich erst einmal für ein Jahr in die Pathologie gegangen. Dadurch weiß ich, wie ich die eine oder andere Krankheit am besten darstelle.
imedo: Wie ist die Idee entstanden?
von Hagens: Die Idee ist an der Universität in Heidelberg entstanden. Dort habe ich meine Doktorarbeit geschrieben, bin in die Anatomie gegangen und habe das Verfahren der Plastination erfunden. Am Wochenende habe ich Besucher durch die Anatomie geführt. Dabei habe ich festgestellt, wie sehr die Menschen von den Präparaten fasziniert waren, weil sie trocken und nicht hinter Glas sind und die Farbe behalten. Die Besucher haben sich eine Ausstellung gewünscht. Ich habe fünf Jahre gebraucht, weil sich kein Museum bereit erklärt hat, die Präparate auszustellen. Erst in Japan wurde man anlässlich der 100. Jahrestagung der Anatomischen Gesellschaft auf mich aufmerksam. Ich habe die Emotionen der Menschen zu sich selbst geweckt. Das ist der am weitesten entwickelte Versuch, Details so darzustellen, wie es vorher nicht möglich war.
imedo: Wie gehen Sie mit Kritik um?
von Hagens: Ich bin sehr dankbar für Kritik und genieße sie. Sie gibt mir die Gelegenheit, mein Tun zu überdenken und mich selbst zu kontrollieren. Aber sie ist auch ein Zeichen unserer sich schnell entwickelnden Gesellschaft. Mein Problem mit manchen Kritikern ist, dass ich sie nicht fassen kann. Sie geben sich selten zu erkennen, dozieren aus einer Anonymität heraus und verbreiten Meinungen, ohne sich die Ausstellung anzusehen und mit den Besuchern zu sprechen. Der Lakmus-Test der Demokratie ist die Auseinandersetzung mit den Kritikern. Ich bin in einem Bermuda-Dreieck tätig zwischen Anatomie, Chemie und Kunst. Ich habe mich immer in verschiedene Richtungen orientieren müssen.
imedo: Ist das eine typisch deutsche Art?
von Hagens: Wir sind in Deutschland Streitkultur gewöhnt. Der Philosoph Voltaire hat mal gesagt, wir sind ein fundamentalistisches Volk und am Ende eines jeden Problems sitzt ein Deutscher.
imedo: Welche Unterschiede gibt es in den Nationen?
von Hagens: Unterschiede gibt es nicht nur in jedem Land, sondern auch in jeder Stadt. Jede Körperwelten-Ausstellung wird unterschiedlich auf- und wahrgenommen. Berlin ist sehr politisch und modern, hier habe ich keine Bedenken, die modernste Ausstellung zu präsentieren. Sie findet außerdem in Israel, den USA und Spanien statt. Wir haben dort die gleichen Fragebögen wir hier in den Ausstellungen, da lassen sich einige Unterschiede deutlich feststellen. Die Deutschen sind sehr kritisch, nachfragend und überall erscheint das Wort umstritten. In den USA ist das völlig unbekannt. Mir wurde auch der Vorwurf gemacht, ich würde die Bestätigungen der Körperspende nicht zeigen. Dabei habe ich sie bei fast allen Ausstellungen zu Beginn dabei.
imedo: Bezeichnen Sie Ihre Ausstellung selbst als provokant?
von Hagens: Für Menschen bis 30 ist sie nicht provokant. Sie sind begeistert. Für Menschen ab 60 ist sie das schon eher.
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